Putzfraueninsel, Teutonengrill, Alkoholleichen, Massentourismus – als ich in die Bucht von Palma de Mallorca einlaufe, erwarte ich den peinlichsten Ort der Welt (nach Zürich und Las Vegas natürlich). Zwei Monate später habe ich aber auch eine sehr schöne Insel gesehen. Nur: Woher nur kommt dieser penetrante Geruch nach Katzenpisse?
Aus dem Morgendunst taucht ein riesiges braunes, gotisches Schiff auf. Zahllose spitze Türmchen stützen sich auf noch mehr Pfeiler. Die Kathedrale von Palma liegt am Meer, zwischen sandfarbenen Palästen mit arabisch anmutenden Torbögen. Eine Stadtmauer, Palmen, Zypressen, städtischer Autoverkehr. Peinlich ist an diesem Blick gar nichts. Hier steht kein Plastikprodukt für Pauschalreisende, sondern ein wirklicher Ort. Kosmopolitisch. Grosszügig. Geschäftig. Massentourismus und der Ballermannstrand S’Arenal bilden höchstens das letzte Kapitel einer langen Geschichte.
Sagenhaft penetrant
Leider. Die unheilgie Allianz aus Geld und Overtourism klotzt in sagenhafter Penetranz auf Schritt und Tritt: Neben jedem Sandstrand an Mallorcas Küste – und es sind viele Strände in vielen romantischen Buchten – räkelt sich eine Hotelanlage. Besser noch eine ganzes Feriendorf. Die Hügel von Port d’Andraxt zum Beispiel sind gerodet und bis zum Hals vollzementiert mit Häusern, in denen nachts kein einziges Licht brennt. Hier ist alles verkauft, was man irgendwie terrassieren und plattmachen konnte. Selbst im unzerstörtesten Teil der Insel, dem gebirgigen Serra de Tramuntana, finden sich Parkplätze grösser als Fussballfelder.
Gebirge wie ein Hammer
Dennoch ist es die Serra de Tramuntana, die mich umhaut. Welche Mittelmeerinsel hat ein so schönes Gebirge? Rissiger Kalkstein, verkarstet vor allem gegen Osten, grau mit orangen Blitzen. Türme, Figuren, Gesichter. Senkrecht abfallende Klippen. Dazwischen grosse, fruchtbare Ebenen, in denen die gespensterhaften Augen verknöcherter Olivenbäume unheilvoll in die Zeit starren. Zitronen und Orangen türmen sich an Bäumen und am Boden – Corona hat die Nachfrage der Hotels einbrechen lassen.
Es gibt Wälder, Schluchten, kleine Dörfer, einen liebevoll gepflegten Hauch von Kultur im alten Haus des britischen Autors Robert Graves. Ich lese das Buch seines Sohnes (William Graves: Wild olives) und versuche mir vorzustellen, wie es einmal war, in Mallorca aufzuwachsen nach dem Zweiten Weltkrieg.
Und über allem schwebt der penetrante Geruch nach Katzenpissse.
Auch wenn es in die Litanei meiner Vorurteile so gut passen würde: Übeltäter sind nicht die verwilderten Haustiere von Ferienhausbesitzern. Das deutschsprachige „Mallorca Magazin“ (5.5.2011) macht eine Zwiebelpflanze für den Gestank verantwortlich: Der Asphodelus miorcarbis, albus oder aestivus stösst nach den ersten ergiebigen Regenfällen vor vielen anderen Pflanzen aus dem Boden. Genug für die Griechen der Antike, diese Pflanze als Zeichen für das Weiterleben nach dem Tode zu hätscheln. Ich persönlich halte ein Weiterleben in diesem Geruch für nicht unbedingt erstrebenswert, aber Gerüche wie Geschmäcker sind verschieden.
Herausfordernde Nordküste
Mit meiner Frau umrunden wir die Insel gegen den Uhrzeigersinn. Im Januar hat diese Richtung ihre Tücken. Der Mistral hämmert seit Tagen auf Mallorcas Nordküste ein, Ostwind ist selten. Wir parkieren das Schiff in Port de Polença und schwingen uns aufs Velo. Nachdem sie abgereist ist, gibt es ein ganz kurzes Wetterfenster mit Ostwind. Der Nachteil: Die Windänderung kommt nachts. Und bläst voll gegen die alte Dünung, was die Wellen aufstellt. Port de Soller erreiche ich um vier Uhr in Dunkelheit. Es ist der einzige geschützte Hafen an der Küste, und ich habe Glück, dass ich mich im Dunklen in keiner Boje verfange.