Der Tag, der fehlt

Daten sind so eine Sache. Zum Beispiel habe ich achtundsechzig mal ich den Tag überlebt, an dem ich eines Tages sterben werde. Obwohl das für mich durchaus eine existenzielle Bedeutung hat, bleibt sein Datum mein Leben lang im Dunkeln. Aber jetzt gab es ein Datum, an dem ich unmöglich sterben konnte. Denn dieser Tag kam in meinem Leben gar nicht vor. Nur: Wann genau war er?

Als eine internationale Konferenz im Jahr 1884 den Längengrad Null durch Greenwich zog, entstand gegenüber, auf der anderen Seite der Erde, der 180. Längengrad. Da es kaum zweckmässig erschien , innerhalb Londons zwei Daten zu haben – links und rechts vom Längengrad 0 je einen anderen Wochentag – verlegte die Konferenz das Problem auf den 180. Längengrad. Dort sah es relativ unbewohnt aus, zumindest von London gesehen, beziehungsweise von Washington aus, wo die Konferenz stattfand.

De facto liegen dort die Fidschiinseln. Uluinaquala und Taveuni, zwei Insel fast in Rufweite, sind durch den 180. Längengrad getrennt. Noch Mittwoch auf Taveunu wäre schon Donnerstag auf Uluinaquala. Aber die Konferenzteilnehmenden waren pragmatische Menschen. Kurzerhand beulten sie die Datumsgrenze bei den Fidschiinseln auf den 172.5 Längengrad West. Seitdem hat ganz Fidschi den selben Wochentag, aber die Datumsgrenze auf meiner Seekarte eine hässliche Beule nach rechts.

Samoa, bisher ausserhalb der Beule, war einer der Orte, an dem alles auf der Welt zuletzt geschieht. Das störte vielleicht niemanden. Aber für viele Samoaner, die in Neuseeland und Australien arbeiten, war der Unterschied ärgerlich. Schon Wochenende in Neuseeland war noch Freitag in Samoa. 2011 beschloss das Parlament den Wechsel auf die andere Datumsseite. Aber statt jetzt eine Beule an die Beule zu zeichnen, blieb meine Seekarte unverändert, und ich im Dunkeln.

Denn wo beginnt nun Samoas Datumsgrenze? An der Zwölfmeilenzone rund um die Insel? Im Hafen von Apia? Beim Zeitpunkt des Einreisestempels?

Sagen wir mal, es war an der Zwölfmeilenzone, der Staatsgrenze auf See. Diesen Punkt habe ich am 30. September um 12.27 überfahren. Mit der Überfahrt wurde er zum 1. Oktober 12.27 Uhr. In meinem Leben fehlt also nicht ein klares Datum, sondern zwei Halbtage. Den 30. September ab 12.28 Uhr bis 1. Oktober 12.26 Uhr habe ich nie erlebt. Und an diesen zwei Halbtagen konnte ich beim besten Willen auch nicht sterben.

Aber wo blieb dieser Tag?

Einen Teil davon habe ich bereits – quasi auf Raten – vorbezogen. Seit meinem Aufbruch von Fehmarn / Ostsee habe ich dreizehn mal meine Uhr um eine Stunde verstellt. Jedes Mal hatte mein Tag 25 Stunden. Ich habe also dreizehn Stunden dieses 30. Septembers / 1. Oktobers verbraucht. Elf bleiben noch in Reserve.

Gute Aussichten für meine weitere Fahrt um die Welt: Ich habe ein Zeitpolster.

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