Flaute ertragen

Während meiner Ausbildungstörns beim Cruising Club Schweiz (CCS) gab es keine Flaute. Blies der Wind schwächer, kam von vorne, nahte die Zeit vom Nachtessen, dann griff man unverzüglich zum Motorschlüssel.

Zwar wollten wir den Hochsee-Schein erwerben. Aber zeigte die Hochsee eines ihrer ungeplanten Gesichter, geriet die Törnplanung durcheinander. Ausbildungsmässig war Flaute nicht vorgesehen. Nur die planbare Hochsee war eine gute Hochsee.

Unbelehrt

Ich verstehe die Skipper von damals. Wie sollte auch ihr pädagogisches Konzept in der Flaute aussehen? Vielleicht läuft eine Dünung. Die Segel schlagen mit hässlichem Knall auf und zu. Wie lange halten sie das aus? Der Baum giert im Lümmelbeschlag. Material leidet hörbar. Wie viele Stunden kann eine Crew in der Flaute liegen, ohne dass sie durchdreht? Und was lernt sie dabei?

Entsprechend unvorbereitet und unbelehrt segle in meine erste wirkliche Flaute.

Kurz zuvor noch war ich zwölf Stunden, mit den Resten eines Sturms, über Wasser und Wellen geflogen. Dann die Flaute – nach dem Sturm. Schlagende Segel, klappernder Baum, selbstverständlich nachts. CCS-geschult lasse ich den Motor an. Das Geräusch vom fliessenden Kühlwasser bleibt aus, dafür steigt ein Geruch von verbranntem Gummi aus dem Motorraum. Ich stelle den Motor ab, finde einen zerstörten Impeller, ersetze ihn. Erneuter Motorstart. Das Wasser fliesst noch immer nicht und wenige Minuten später riecht es erneut nach verbranntem Gummi. Jetzt bleibt mir nur noch ein einziger Reserve-Impeller. Ich verordne mir eine Reparatur-Pause, um am nächsten Tag mit klarem Kopf weiterzudenken.

Die Lichter am Ufer wechseln Richtung und Aussehen. Reykja dreht sich offenbar um ihre Achse. Sie treibt. Kann ich wirklich schlafen? Was ist, wenn ich ans Ufer treibe? Ich plane Notfallszenarien gegen die Strandung. Wo an der Küste kann ich einen Anker werfen? Wo ist es zu tief? Ich ärgere mich, dass ich so gar nicht weiss, wie sich in der Flaute segeln lässt.

Unbeeindruckt

Einige Flauten später weiss ich mehr. Selbst mein schweres Stahlschiff lässt sich ab drei bis vier Knoten Wind, also Windstärke eins, segeln. Es geht zwar nicht in jede Richtung, hängt ab von der Höhe der Wellen und braucht höchste Aufmerksamkeit. Die Arbeit lässt sich nicht an die Windfahne delegieren. Aber es geht.

Ich lerne, Flauten zu geniessen. Es ist wärmer am Deck, als mit Wind. Fast still. Man hört und sieht Delfine sofort. Ich kann sogar Pilates-Übungen machen, ohne auf die Nase zu fallen.

Weniger lustig ist Flaute, wenn noch eine Dünung rollt. Dann schlagen die Segel verärgert und laut. Holt man sie ein, legt das Boot sich quer zu den Wellen, rollt und schwankt. Und man verpasst vielleicht den Moment, wenn der Wind wieder leise bläst.

Der Törn mit dem verbrannten Impeller endet übrigens so: In Sichtweite von Cardagena und dem erhofften Motormechaniker schläft der Wind erneut ein. Ich brauche geschlagene acht Stunden für fünf Seemeilen (neun Kilometer). Ein Militärboot beäugt mich stundenlang kritisch, weil ich am Handelshafen vorbei in Richtung Marina krieche. Aber es schreitet nicht ein. Warum sollte es auch? Ich schaffe es unter Segeln bis 20 Meter vor die Marina. Dann schiebt mich ein Motorboot in die Hafenbox und berechnet dafür fünfzig Euro. Wir haben es beide verdient.

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