Zwölf Meter Stahl, zwei Masten, eine Ketsch. Vor fünfzig Jahren sah die ideale Blauwasseryacht so aus, die legendäre JOSHUA von Bernard Moitessier etwa. Heute ist das Ketsch-Rigg ausser Mode, ebenso Langkiel und das Ruder am Skeg. PINJOE – vor dreissig Jahren gebaut – besitzt alle Attribute der klassischen Fahrtenseglerin. Habe ich mit dieser Ketsch die ideale Blauwasseryacht gefunden?
Motiva war eine dänischen Werft, die in der Wirtschaftskrise 2008 das Handtuch warf. PINJOE ist eine Motiva 39 S, schwer, robust und behäbig. Ihre Wanten messen acht bis zehn Millimeter, der Rumpf besteht aus 5 Millimeter flammenverzinktem Schiffbaustahl. 15 Tonnen bringt sie auf die Waage, bei insgesamt dreizehn Metern Länge. Ein vergleichbares modernes Schiff aus GFK wiegt die Hälfte und segelt doppelt so schnell. Fast …
To bluff – or not to bluff
Was anzieht und abstösst: Beim Bau von PINJOE wurde übertrieben. Da sind Tonnen von Holz verbaut, aussen wie innen, die schreien nach Lack, Politur und Zitronensäure-Reiniger. Es schlummert ein völlig überdimensionierter Ford Lehman Motor mit 135 PS in ihrem Bauch, mit grossartigem Dieselsound. Aber dank ihm tobt PINJOE schon im Standgas mit vier Knoten durch den Hafen und schluckt stündlich vier Liter Diesel. Da hängen rot-braune Piraten-Segel im Rigg, die jeden Segelmacher sofort nach der Aufpreis-Preisliste greifen lassen. Der Erbauer dieser Yacht wollte, dass andere hingucken – um jeden Preis.
Soll ich diesen Preis zahlen? Dann blicke ich auf wunderbar designte skandinavische Schreinerarbeiten aus Teakholz. Und schaue vom Sofa im Decksalon aus riesigen Fenstern auf das gesamte umgebende Panorama. Ein solcher Blick findet sich bei kaum einer anderen Yacht. Überall (warum eigentlich nur?), taucht man zum Bootsleben ab in den dunklen Schiffsbauch, kocht, redet und schläft zwischen Wänden – bestenfalls mit einem Blick durch Schlitze in den Himmel. In einer klassischen Yacht an regnerischen Ankerplätzen würde ich Depressionen schieben.
Ist sie richtig fürs Blauwasser?
Ich habe mir ein Budget gesetzt von 100 000 Franken. PINJOE liegt darüber. Die Eigner wirken sympathisch. Das Schiff scheint gut im Schuss. Der Bootsbauer von Burgstaken, Fehmarn, inspiziert sie unkompliziert innerhalb von zwei Tagen und gibt grünes Licht. Schliesslich triumphiert asthetisches Empfinden über Wartungsarbeiten, Bauch schlägt Kopf, wie könnte es anders sein? Ich entscheide, mit PINJOE die ideale Blauwasseryacht gefunden zu haben und kaufe sie.
Natürlich bleiben Zweifel. Bisher segelte PINJOE nur auf der Ostsee. Kann ich sie in eine Yacht verwandeln, die in Hohen Breiten segeln kann, in stürmischen und eisigen Revieren? In meinem hintersten Hinterkopf stecken Bilder von Island, Grönland, antartkischer Halbinsel … Definitiv ist PINJOE keine dieser 4×4-artigen Expeditionsyachten aus Alu, mit Schwenkkiel und verstärktem Bug, die für solche Reviere gebaut werden. Das sind coole Schiffe, aber für mich unbezahlbar. PINJOE ist schlanker, hübscher, verletzlicher. Wie viel Geld wird sie noch verschlingen, bis sie halbwegs mit Alu-Expeditions-Boliden mithalten kann?
Umbau zur Blauwasseryacht
Zunächst gebe ich PINJOE einen neuen Namen – gegen alle seemännische Gewohnheit und Aberglauben. Ich will keinen Namen von Fremden übernehmen. Ich nenne sie REYKJA (hier zur Bedeutung). Dann wandert sie Anfang Juni zurück in die leere Halle von Burgstaaken auf Fehmarn, während alle anderen Boote in Gegenrichtung ins Wasser gekrant werden. Den Sommer muss ich mit den qualvollen Meilen-Törns verderben, die der Schweizer Hochseeschein fordert.
Schliesslich geht es los mit Geldausgeben: Eine Rettungsinsel schreiben die «Ausrüstungsrichtlinien für Jachten unter Schweizer Flagge» vor. Auf zwei vollgedruckten A 4 Seiten finden sich 36 vorgeschriebene Sicherheitsmittel, darunter Absonderlichkeiten wie Signalisierspiegel, acht Fackeln und Raketen, Treibanker, Wantenschneider, eine wasserdichte Taschenlampe pro Person, Radarreflektor (für ein Stahlschiff?) usw. Spätestens hier überlegt man, den Flaggenstaat zu wechseln.
Denn eigentlich habe ich ganz andere Ausgaben: Die acht Batterien sind mehr als zehnjährig, ich will nicht Gott versuchen. Die Gasanlage hat kein Zertifikat und muss vollständig neu verlegt werden. Alle neun Seeventile erneuert der Bootsbauer vorsichtshalber. Und als Geschenk an mich selbst gibt es Maststufen. Der künftige Einhandsegler will die Welt von oben sehen. Wenigstens manchmal.