2018 | Erste Schritte

Ja, Jolle und Katamaran bin ich immer wieder mal gesegelt. Aber nein, ich hatte keine Ahnung wie man eine Yacht segelt. 2015 setze ich meinen Fuss das erste mal auf ein Segelschiff, das nicht sofort beim Betreten durchkentert.

Das war eine Hallberg-Rassy. 1000 obligatorische Schweizer-Hochseeschein-Meilen später kenne ich weitere drei Yachttypen: Alubat Ovni, X-Yacht, sowie einen Katamaran: Lagoon. Oberflächlich natürlich. Meine gesammelte Erfahrung besteht aus fünf – vorwiegend traumatischen – Wochen auf See, mit unbekannten Crews. Immerhin sind gute Blauwasser-Reviere darunter: Norwegen, Portugal, England.

Dein Schiff, das unbekannte Wesen

Diesen Sommer 2018 habe ich vier Monate Zeit: Ich muss Reykja segeln lernen. Muss herausfinden, ob irgendwo vergrabene Hunde schlummern. Sie entdecken und beheben, bevor es wirklich ins Blauwasser geht.

REYKJA zeigt ihre Persönlichkeit schnell. Zum Beispiel hasst sie Rückwärtsfahrten. Sie ist Langkielerin, unkontrollierbar in Häfen. Das führt blitzschnell zu einem Auflauf besorgter Skipper, mit Fendern in den Händen und vorwurfsvollen Blicken.

Andererseits liebt REYKJA Amwindkurse. Stellt man ihr Ruder geradeaus, dann sucht sie sich einen Winkel von 30 Grad zum scheinbarem Wind und tobt ohne Eingriff in die Steuerung davon. Ideal für Einhandsegler.

Mein Lernweg verläuft holperig. Ich oszilliere zwischen meinem Eigensinn und besserer Einsicht. Mache massive Fehler und habe Glück in heiklen Situationen.

Überfordert

Am sichersten fühle ich mich auf dem offenen Meer. Segeln ist segeln, egal ob in einer Jolle oder Yacht. Die Probleme lauern in Küstennähe: Hafenanlagen, Ankerplätze, Windparks, Verbote und Einschränkungen auf der Seekarte. Dazu die technische Komplexität einer Segelyacht. Hausbesitzer und Motorhome-Eigner sind klar im Vorteil.

Es gibt Momente, in denen mir das Blut gefriert: Warum qualmt es plötzlich aus den Lenzrohren? Was kann ich tun, wenn vor der Küste der Motor nicht anspringt? Warum klemmt das Rollgrosssegel?

Ich verhalte mich wie der blutige Anfänger, der ich bin. Den Kurzschluss beim Anlasser überbrücke ich mit stärkeren Sicherungen und Schraubenzieher – zum Glück brennen die Kabel nie. Das widerspenstige Gross-Rollsegel lässt sich gar nicht mehr bewegen, weil ich das Fall zu dichtnehme. Der Autopilot kämpft laut und pausenlos, weil ich den entscheidenden Parameter in der Anleitung nicht finde.

Andere Schwierigkeiten lassen sich mit Planung vereinfachen. Ich studiere intensiv die Kaianlagen auf Google Earth, bevor ich in etwas einlaufe, aus dem ich vielleicht nicht wieder rückwärts hinaus kann. Ich finde die Frage zentral, welche Festmacher am Kairand verbaut sind. Es gibt Modelle, die ich nicht verstehe – Horror sind Mooring Bojen – während für meine Revierführer «Dänemark» und «Schweden» diese Frage nebensächlich ist. Ich rüste sechs Festmacherleinen an Bug, Heck und mittschiffs, bevor ich mich in Landnähe traue. Die Mittschiffsklampe wird zentral für den Sprung an Land und das Vertäuen des Boots.

Glücklich

Dreimal quere ich mit REYKJA zwischen dem wunderbaren Farö, der Insel im Norden Gotlands, und dem schwedischem Festland. Es sind magische Momente, wenn das Land verschwindet und da nur noch Meer ist. REYKJA, im Hafen eher eine grössere Yacht, wird auf offener See plötzlich unfassbar klein. Bei der letzten Überfahrt bin ich der einzige, der arglos aus der Schärenlandschaft ausläuft. Mit der Dämmerung schlägt die Seekrankheit zu. Es blasen sieben Windstärken und ich erlebe, was es bedeutet, wenn man Kotzen muss, aber da nichts mehr ist, das man herauswürgen könnte.

2018 bedeutet für Skandinavien einen ungeahnten Hitzesommer. Er radikalisiert nicht nur Greta Thunberg zum Schulstreik vor dem Parlament, auch mein Decksalon beginnt ab Mittag zu kochen und bietet einen Vorgeschmack auf das Leben in der Südsee. Die Kehrseite: Immer häufiger würgt sich REYKJA durch Teppiche von Grünalgen, die offene See ist verpestet, in Gotland können Menschen nicht mehr baden. Ich staune, warum das kein Medienthema ist und gehe einen Sommer lang nicht ins Wasser.

Ernstfall

Als ich auf der Rückfahrt in Öland landen will, bringe ich den Motor mit keinem Trick mehr zum Laufen. Mir bleibt keine Wahl. Mich als Seenotfall zu outen und von einem Rettungsboot abschleppen zu lassen, das geht nun doch gegen jede Anfänger-Ehre. Also segele ich REYKJA in drei Nächten und vier Tagen von Kalmar / Schweden nonstop nach Fehmarn.

Es wird zu einem Wettlauf gegen die Batterien, die ich dummerweise mit Autopilot und Radar eine Nacht lang leere. Die restlichen drei Tage verbrauche ich nur noch Strom für nächtliche Positionslampen, um AIS / Tablet /Handy zu laden, und gelegentlich die elektrische WC Spülung zu betätigen. Gibt es Flaute, liege ich herum, und hoffe, nicht an die Strände Bornholms zu treiben. Weht Wind, dann bestimmt er die Route und ändert alle Pläne.

Dieser Zustand ist wunderbar. Nicht nur kann REYKJA sich ohne Autopilot selbststeuern, dank ihrem Langkiel. Auch der ganze technische Schnickschnack wie Windmesser, Log, Echolot, undsoweiter scheinen völlig entbehrlich. Ich entdecke, dass der Windanzeiger oben auf dem Grossmast sogar meine Taschenlampe reflektiert. Immer wieder versinke ich in kurze aber euphorische Schlafphasen, egal ob Tag oder Nacht. Nur am Ende muss ich mich – etwas weniger grandios – in die Marina Burgtiefe schleppen lassen. Hundert Meter vor dem Ziel, unter den kritischen Blicken der Gäste im «Café Sorgenfrei», will ich REYKJA nicht auf Ostseesand setzen.

Umbauen

Nach diesem Sommer ist klarer, was zu tun ist. Mehr Redundanz: Es kann nicht sein, dass ein defekter Motor alles ausser Kraft setzt.

Eine Hydrovane Windsteueranlage muss her, trotz horrender Kosten. Sie macht mich unabhängig vom Strom und versorgt mich mit einem zweiten Ersatz-Ruder.

Der Segelmacher kürzt Genua und Fock am Unterliek, ich will sehen, mit wem ich nächstens kollidiere.

Das Skeg vom Ruder läuft nicht in der Achse und macht die Steuerung schwergängig.

Die Tür zum Niedergang hielt meinem heftigen Anfall von Seekrankheit nicht stand und muss repariert werden.

Am Motor entdeckt der Techniker einen Kurzschluss. Es fehlt auch eine Warnung vor überhitztem Kühlkreislauf. Schliesslich baut er eine Separ Doppelfilteranlage ein – gegen die verstopften Vorfilter durch Dreck und Wasser im Diesel. Wenn in Zukunft der Motor ausgeht, werde ich nur noch einen Hebel umlegen. Theoretisch.

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