Warum?

„Was sind Deine Pläne?“ fragt jeder jeden am Steg in Tazacorte. „Grenada“ heisst es dann, oder „Gambia“, oder „Griechenland“. Ländernamen wie Luftblasen. Sie glitzern, spiegeln etwas vom Reisenden und zerplatzen oft in Klischees. Was suchst Du denn, in Grenada, Gambia oder Griechenland?, wäre vielleicht besser gefragt. Warum segelst Du? Was für eine übergriffige Frage. „Warum?“ hat mich noch nie jemand am Steg gefragt.

Anfangs dachte ich: Im Ruhestand mache ich das, was ich mich nie traute im Familien- und Berufsleben. Ich werde Orte besuchen, die ich noch einmal sehen will – oder immer schon sehen wollte. Bücher lesen, die so abwegig sind, dass ich mir früher keine Zeit genommen hätte. Tagträume träumen, anstatt mich instrumentalisieren zu lassen durch Wecker und Pflichtenheft. Den Berufswunsch des kleinen Jungen ausleben: Kapitän hinter dem Steuerrad. Kurz: Ich werde als alter Mann all das nachholen, was meinem Leben bis jetzt fehlt.

Einmal im Leben mit dem eigenen Schiff einlaufen. Hamburg

Kreise schliessen

Einige solcher Lebenskreise liessen sich erstaunlicherweise schliessen. Ich habe die Sandalen gekauft, die meine Mutter mir immer verboten hat. Fuhr mit dem eigenen Schiff die Elbe hoch, mitten in meine Geburtsstadt, in der ich als Kind nur am Ufer stand. Las unter eine Zypresse zwischen den Ruinen von Philippi Paulus‘ Brief an die Philipper. Und liess meine übrig gebliebenen Haare so lang wachsen, bis es selbst für mich peinlich wurde.

Diese Art Sinnfindung ist absolut befriedigend. Ich nehme den Tod ernst als meinen künftigen Lebenshorizont – und schlage ihm zugleich ein Schnippchen. Da ist noch Sinn, bevor das Dunkel zuschlägt. Es reicht eine Dauerentzündung meines Ellenbogens – und schon wäre es aus mit dieser Art Reise.

Umso überraschender, wenn plötzlich Sinn auftaucht, der gar nichts mit dem Horizont meines Todes zu tun hat. Was heisst „auftaucht“ – La Palma ist in mein Leben eruptiert.

Szene wie aus einem Dinosaurier Film. Caldera de Taburiente

Eruption ins Leben

La Palma, eine kanarische Insel, ist eine vulkanische Eruption aus dreitausend Metern Meerestiefe. Unter der Insel siedet eine Magmakammer, zuverlässig gefüllt von einem Hotspot. Seit drei Millionen Jahren bricht sie aus. Und erschafft eine Welt, die ich noch nie gesehen habe.

Abgrundtiefe, zerfurchte Schluchten in der Caldera de Taburiente, der Saurierfilm live. Alte Kiefern mit meterdicken Stämmen, angeschwärzt von Buschfeuern. Zartgrüne Nadeln vor schwarzer Lavaasche in der Vulkanlandschaft Cumbre Vieja. Farne, Lorbeerbäume, Regenwald in den Barrancos des Nordens. Alles ist steil, wild, masslos.

Während in Tazacorte die Sonne am blauen Himmel scheint, wabert der Nebel an der Nordseite und im Osten regnet es. Drei Jahreszeiten auf einer kleinen Insel von wenigen dutzend Kilometern. Und – im Vergleich zur gedankenlos von Menschen vermüllten Landschaft in Griechenland: Diese Welt ist so beruhigend intakt.

Was es mit mir macht? Es ist entfesselte Schönheit, die mich erschüttert. Die Erde macht ihr Ding. Sie rührt sich, schafft Leben, zerstört es, schafft neues Leben. Walzt Lava über Häuser und Bananenplantagen von traumatisierten Menschen. Ich bin ein flüchtiger Besucher, die Erde denkt in anderen Zeitdimensionen und Machtkategorien.

Nicht vermüllte Kulturlandschaft. Nahe Santo Domingo

Die Sonne geht unter

Abends stehe ich am Strand von Tazacorte und sehe die Sonne im Westen untergehen. Nächster Halt Amerika. Es zieht mich in den Westen, auch wenn das der Ort ist, an dem die Sonne untergeht.

Es zieht mich an Orte, die sind, wie dieser: Wild, echt, unbezähmbar. Und wenn ich nicht so weit komme – zu den Marquesas, den Australs, den Gambieratollen dieser Welt? Wenn der Tamar River in Tasmanien nie unter Reykjas Kielwasser rauschen wird? Dann habe ich wenigstens La Palma gesehen.

Und gespürt: Es ist nicht alles vergebens.

Es ist nicht alles vergebens. Caldera de Taburiente

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