Das Mittelmeer sind viele Meere. Sie haben unterschiedliche Namen, Winde, Gefahren, selbst unterschiedlichen Salzgehalt. Auf dem Weg von Menorca über Sardinien, Sizilien nach Griechenland überquere ich drei dieser Meere.
Wie hatte ich mich vor meiner Reise gefreut auf den magischen Moment, in dem das Land versinkt und rund um mich nur noch Meer ist. Mystisch stellte ich mir das vor. Zwänge verschwunden, eine neue, kleine Welt öffnet sich, ich bin bei mir. Ich bin frei.
Inzwischen fürchte ich diesen Moment. Oft ist mir regelrecht Elend, wenn der letzte Leuchtturm grau und durchsichtig wird. Weiss ich sicher, auf was ich mich hier einlasse? Wer garantiert, dass der Wetterbericht nicht irrt? Habe ich in der Zeitplanung etwas übersehen? Was wenn alles anders wird, Flaute, Sturm? Hält das Schiff? Wie anstrengend werden die Nächte?
Namensloses Mistral-Meer
Eben war er noch da, und plötzlich ist der Leuchttum vom Cap de Llevant, Menorca verschwunden. Wie weggeblasen. Dafür wachsen die Wellen mit jeder Seemeile Fahrt. Das Meer, zwischen den Balearen und Sardinien, hat keinen eigenen Namen. Aber einen eigenen Sturm: Den Mistral. Es ist März, der Mistral wehte stürmisch in den letzten Tagen im Norden, nun soll es ein ruhiges Wetterfenster geben für vier Tage. Danach wieder Sturm. Vier Tage sollten mir reichen, falls ich in keine Flaute komme. 250 Seemeilen, knapp 500 Kilometer bis Cagliari.
Die Wellenkarte zeigte das Meer in den letzten Tagen mit sechs Meter hohen Wellen, in rot: Grosse Gefahr. Aber jetzt sind sie auf zwei Meter geschrumpft, violett. Einen Haken haben solche Wellenkarten: Ihre Zahl nennt die «signifikante Wellenhöhe». 15 Prozent der Wellen sind höher, jede Tausendste ist doppelt so hoch (vgl. Meno Schrader: Das Wetterbuch. Seite 127). Hin- und wieder also rauscht eine vier Meter Welle daher. Was für den Atlantik lächerlich klingen mag, im Mittelmeer ist das eine schnelle, hässliche, graublaue Wand. Kommt sie von der Seite, wie auf meiner Route, schäumt sie weit über meinem Kopf. Erst im letzten Moment steigt REYKJA, legt sich auf die Seite und lässt die Welle gurgelnd unter sich durch.
Langsam, vielleicht nach 24 Stunden, ist alles nur noch halb so dramatisch. Wir drei haben uns an das offene Meer gewöhnt, das Schiff, die Windsteueranlage und ich. Wir schwanken durch den Tag, ich versuche zu kochen, das WC zu treffen und drinnen nicht zu kotzen. Abgeschnitten vom Internet, werden die Wetterberichte mit jeder Stunde eine Stunde älter. Zu meinem Glück bleiben sie über mehrere Tage ziemlich richtig.
Anfangs scheint so eine Überfahrt unendlich. Nach langen 24 Stunden ist Sardinien immer noch weit weg, Menorca dagegen um die Ecke. Nach 48 Stunden ändert sich etwas. Der Funk scheppert seine routiniert-liturgischen Sicherheitswarnungen plötzlich in Italienisch, statt auf Spanisch. Wie Land plötzlich verschwindet, taucht es am dritten Morgen schlagartig wieder auf.
Tyrrhenisches Meer
Statt in hohe Wellen kann man eine Überfahrt auch in der Flaute starten. Inzwischen ist es Juni. Von der Isola Molara, im Golf vor Olbia, bis Stromboli vor Sizilien sind es 300 Seemeilen, knapp 600 Kilometer. Aber bislang geht es keinen Meter voran. Nach der Wettervorhersage hätte längst Wind einsetzen sollen. Endloses Klappern des Lümmelbeschlags, reffen und setzen der Segel, schwanken und dann doch eine Runde motoren, obwohl mein Treibstoff knapp ist. Erst nachts um drei setzt der Wind ein. Dann aber stetig und freundlich.
Das Tyrrhenische Meer hat weniger Salzgehalt als das Ionische Meer. Das ist ein Grund für die Strömungen und Wirbel in der Strasse von Messina. Und auf dem Grund des Tyrrhenischen Meers öffnet sich die Erde. Aus tausend Metern Tiefe wächst ein Vulkan in fast tausend Meter Höhe. Stromboli.
Lange schon sehe Liparische Inseln im Dunst, aber Stromboli liegt am Ende dieser Gruppe und versteckt sich. Meine vierte Nacht beginnt – da leuchtet da eine rote Wolke weit über dem Horizont des Meeres und verlöscht. Stromboli sei der älteste Leuchtturm der Geschichte, schreiben Rod und Lucinda Heikell im Pilot Guide. Ein zwanghaft gekünsteltes Bild? Hier vor Ort wird klar, was sie meinen. Achthundert Meter über dem Meer sprüht rote Lava. Und dann ist es wieder lange Zeit dunkel. Ich treibe ohne Motor vor der massiv – eine Seemeile weit – abgesperrten Feuerrutsche (Sciara del Fuoco) und kann mich vom Ungeheuer nicht lösen.
Nachts um drei suche ich vergeblich einen Ankerplatz um Stromboli. Die Insel ist tief, die wenigen flachen Stellen sind verbaut, Anleger kommerziell, Charge Band 5 nach Pilot Guide bedeutet „High cost“. Ich ankere zehn Seemeilen entfernt im Archipel Panera. Inzwischen bin ich so müde, dass ich tatsächlich im Stehen einschlafe. Nur mit Glück knalle ich mit den Armen auf den Niedergang wache unsanft wieder auf. In der nächsten Nacht fahre ich noch einmal nach Stromboli. Die Erde röchelt, knallt und spuckt. Das ist ein spezieller Ort.
Ionisches Meer
Eine Tankstelle mit Bootssteg, in der Strasse von Messina. „Wieviel?“ fragt der Tankwart. „300 Liter“ sage ich. Beim nächsten Blick auf die Säule steht der Zeiger kurz vor 500 Litern. Mit dem noch vorhandenen Treibstoff sind jetzt 700 Liter in den Tanks. Noch nie war Reyjka so vollgetankt.
Früh am nächsten Morgen riecht es nach Diesel. Ein Blick unter die Bodenbretter: Die Bilge schwappt randvoll mit gelber Flüssigkeit. Wohin mit dem Zeug? Das Meer liegt glatt wie ein Spiegel, wir sind in Küstennähe, eine Dieselspur ist verwerflich, strafbar, peinlich. Dringender noch: Warum? Nach langem kopfüber Suchen finde ich eine Schraube auf einem Inspektionsdeckel am Kiel. Sie ist zwar angezogen, aber nicht brachial genug. Um sie herum sickert es gelb.
Dann setzt Wind ein und die Wellen gehen hoch. Der klassische Sturm des Ionische Meeres heisst Scirocco und käme aus Süden. Aber dieser Wind hier kommt aus Norden, aus einem vierten Meer, der Adria, und er bringt die höchsten Wellen aller drei Überfahrten. Zeitweilig kommen sie so vehement von der Seite, dass die Windsteueranlage den Kurs des Schiffs nicht halten kann. Ich muss den elektrischen Autopiloten dazu schalten.
Nach 36 Stunden ist der Spuk vorüber und ich bin bis kurz vor Griechenland geflogen. Der Wind schläft ein. Ich starte den Motor, höre ein einzelnes Klickgeräusch – und weiter nichts. Zum Glück habe ich Handyverbindung. Für die Yachttechniker auf Fehmarn, Deutschland, ist der Fall klar: Wasser im Motor. Die hohen Wellen habe es irgendwie durch den Auspuff in den Öltank geschafft. Ich solle schnell landen und den Motor auseinandernehmen lassen. Wenn ich Glück habe, sei er noch zu retten.
Nun ist das mit der schnellen Landung so eine Sache. Denn ausgerechnet Griechenland ist berüchtigt dafür, ein Schiff, das am Seil in den Hafen gezogen wird, erst einmal festzulegen und nur nach Zahlung eines teuren Gutachters wieder frei zu geben. Der nächste Port of Entry heisst Pylos, auf der Pelepones und ist zwölf Seemeilen entfernt. Mit wechselnden Windrichtungen, Gewitter, Flaute und am Ende Windstärke 2, schlängele ich mich so unauffällig wie möglich (welcher Depp segelt bei so wenig Wind?) in den Golf vor Pylos und lasse den Anker samt einem Stossseufzer fallen.
Ich bin anders angekommen, als geplant. Aber ich bin angekommen.