Von Menorca wusste ich nur, dass es diesen Ort gibt. Irgendwo. Umso überraschender ist die Begegnung mit einer Insel, in der man mich zuerst gar nicht an Land lassen will.
Donnerstagabend, kurz vor fünf. Nach der Überfahrt von Mallorca funke ich Ciutadellas Marinas an. Blankes Entsetzen am anderen Ende. Mein Schiff sei mit 11.99 Metern für Ihren Hafen zu lang, sagt Ports IB. Ich müsse einen Coronatest vorweisen, sagt Club Nautico, ein touristisches Schiff hätte man seit Wochen nicht mehr empfangen. Schliesslich, denn um fünf Uhr ist vermutlich Feierabend, schickt man mich zum Ankern in die Cala Degollador, eine schmale Bucht neben dem Hafen.
Dort frischt am nächsten Morgen der Wind auf und dreht quer. Reykja nähert sich den seitlichen Felsen zum Anfassen nah. Ich ziehe in Panik mit roher Gewalt den sperrigen Heckanker irgendwie los, flüchte aus der Falle, treibe in zunehmend kabbeliger See und mache einen letzten verzweifelten Versuch über Funk. Siehe da: Dieses Mal spricht Ports IB gut Englisch. Der Beamte rüffelt mich zunächst: Corona-Zeiten seien nicht die Zeit für Tourismus. Als ich ihm vorschlage, ich könne wieder nach Mallorca zurück segeln, ist sein Lokalstolz offenbar getroffen – jedenfalls lässt er mich landen. Von PCR-Test ist keine Rede mehr, ich war ja monatelang auf der Nachbarinsel, und auch Reykjas Länge ist mit einem mal voll passend für die Marina.
Unter Steinen
Das erlösende Gefühl: Hier bin ich richtig. Es stellt sich ein nach wenigen Schritten im Hafen von Ciutadella und wird mich die folgenden Wochen nicht mehr verlassen. War Mallorca über weite Teile ein einziges pulsierendes Ballungszentrum, so ist Menorca volle Provinz. Stilvolle Provinz in Ciutadella: Paläste, eine gotische Kathedrale, zwei riesige Plätze, alte Häuser, enge Gassen. Vor der Stadt wird es saftgrün, hügelig und sehr steinig. Mörtellose Mauern durchziehen endlose Weiden mit Kühen. Ein Stück England mitten in Spanien.
Steine, wohin das Auge schaut, Kalksteine genau genommen. Nur zwei Kaps, die ich später umrunde, sind spektakulär aus rotem Schiefer. Bereits die Römische Armee, so weiss mein Pilot-Guide, engagierte einheimische Menorquiner, weil die so effektiv Steine schleudern konnten. Und ihre Vorfahren bauten aus Steinen eine ganze Kultur.
Jetzt schlägt die Stunde meines Mountain-Klappbikes: Rund siebzig Fundstellen der Talyot Megalithkultur auf Menorca sind bekannt. Eine Entdeckungsreise beginnt.
Keine Fundstelle ähnelt der anderen. Torretrencada: Ich staune über runden Grundrisse der Steinhäuser. Alles wirkt wirkt harmonisch. Warum eigentlich bestehen unsere Städte aus Ecken und Kanten? Son Catlar: Eine intakte Schutzmauer voll militärischer Geheimnisse. Es gibt extra dünne Stellen, um zu fliehen, oder nachts den Belagerer auszuspionieren. Am Zugang wölbt sich die Mauer nach innen, damit er seitlich von Wachtürmen beschossen werden kann. Torrellafuda: Eine Taula unter Olivenbäumen, mordsschwere stehende Hinkelsteine, die kein Obelix freiwillig heben würde.
Kann ich verstehen, warum Menschen vor dreitausend Jahren das machten? Die heutigen Orte sind verändert. Die Steine wurden von Bauern jahrhundertelang für eigene Bauprojekte entfernt und verschoben. Olivenhaine wachsen erst in der Neuzeit. Nichts ist mehr, wie es war. Und doch: Etwas ist dort.
Unter Anker
Ich beginne, die Insel zu umkreisen. Für die nächste Woche ist kein schockierender Mistralsturm vorhergesagt. Ich traue mich an die Nordküste, einsam und als eiziges Schiff. Im Inlet von Cala Fornells, ankere ich über eine Woche lang, bringe mit dem Schlauchboot mein Velo an Land, erkunde das Inselinnere, schleppe 15 Liter Benzin im Rucksack von einer entlegenen Tankstelle. Ein Tag Starkwind mit Böen um 8 Bf. kann ich an langer Kette sicher abwettern. Die im Pilot Guide gerühmte Cala de Addaya schaue ich vom Velo aus an – und finde ich viel zu eng zum Ankern bei starkem Ostwind. Guten Schutz bietet die Isla Colom im Osten, nur der Schwell aus Norden passt genau hinter die Insel und macht das Leben schaukelig.
In der «Marina Menorca», Mahon, der Hauptstadt, werde ich abgezockt und zahle die höchsten Liegegebühren (70 Euro die Nacht), doppelt so viel wie in Palma. Einkaufen und Wäsche waschen geht nicht ohne einen zwanzig Minuten Fussweg mit Rucksack in den oberen Teil der Stadt. Ich laufe ihn ein dutzend Mal.
Nach drei ruinösen Nächten flüchte ich auf die Südseite Menorcas. Sie wirkt auf den ersten Blick touristisch verschandelter – aber nicht überall. Spektakulär sind die Calas Covas mit Begräbnis-Hippiehöhlen, wohin das Auge schaut. Ich mache den Doktor beim Ankern, der Wind weht mich aus der Bucht, die Wellen kommen von vorne. Ich versuche eine Landleine mit dem Beiboot zu legen, während das Schiff langsam abtreibt. Eine überrumpelte Joggerin am Ufer, die ich um Hilfe rufe, flüchtet vor dem bärtigen englischsprechenden Seemonster. Am Schluss bleibt mir nur der mühsame Heckanker. Mit schlechtem Gefühl starte ich eine lange Wanderung zu den Talayots. Aber am Abend liegt mein Schiff immer noch sicher da.