2019 | Üben, üben, üben. Vor Norwegen

Blauwasser segeln üben: Ich will lange Etappen am Stück segeln, ankern oder das Schiff treiben lassen. Häfen, notfalls Marinas, nur anlaufen, wenn Strom oder Essen knapp sind. Nördlichstes Ziel in diesem Sommer sind die Pottwale vor Vesteraalen / Norwegen.

Als ich in Burgstaaken die Leinen loswerfe, startet der Plotter nicht auf. Er ist fünfzehnjährig, seine Gebrauchsanleitung auch. Nach einigem Blättern scheint klar: Die interne Startbatterie ist leer. Sie lässt sich nicht von Hand wechseln, sondern ist eingelötet.

Tablet statt Plotter

Dem örtlichen Elektroniker ist das Teil suspekt. Hersteller Simrad erklärt vorwurfsvoll am Telefon, dass eine Reparatur im Sommer mindestens vier Wochen Zeit brauche. Ich sende den Plotter an Simrad und bitte, ihn mir nach Bodö in Norwegen nachzuschicken. Damit ist der Simrad Service bereits überfordert, es klappt erst im zweiten Anlauf.

Ohne Plotter kein Radar. Ohne Radar möglichst kein Nebel. Für die Navigation gibt es Alternativen zum Plotter, für schlechte Sicht nicht. Auf Handy, Tablet und Laptop sind Seekarten installiert. Genervt werfe ich abends die Leinen los und starte in die untergehende Sonne. Die Stimmung steigt.

Die dänischen Inseln durchsegle ich, ohne an Land zu gehen. Nachts liege ich an Leeküsten – geschützte Buchten sind rar. Erst als REYKJA bei Flaute und in Schauern vor der Insel Laeso zum Strand treibt, werfe ich den Motor an. Im Skagerak beginnt es nach Meer zu riechen. Das Wasser wird blau. Südwestwind befördert mich zum ersten Landfall: Lillesand / Norwegen. Die Batterien sind fast leer.

Blindleia – die Sache mit den Tiefenangaben

Wollte ich norwegische Papier-Seekarten bis zu den Lofoten benutzen, müsste ich rund 50 Karten kaufen. Eine massive Investition. Es bleiben die elektronische Karten von Navionics und Open CPN. Die Navionics-Karten sind gut lesbar, die Norwegen-Karte von Open CPN finde ich unbrauchbar.

Beide Karten behaupten, dass man Blindleia mit zwei Metern Tiefgang nicht befahren kann. Blindleia, das ist ein natürliches, schmales, spektakuläres Kanalsystem durch die Schären. Zwischen Lillesand und Christianssand. Vorsichtig und mit schlechtem Gefühl taste ich mich voran. Es geht bestens, die flachen Tiefenangaben der elektronischen Karten sind falsch.

Pech und Glück vor der Küste

Wenn der Wind sich an Regeln halten würde, dann käme er im Frühsommer aus Westen und im September aus Nordosten. Heringe, Papageientaucher, Basstölpel, alle sind auf diesen Rhythmus vor der norwegischen Küste eingestellt – meine Reise auch.

Tatsächlich geht es in diesem Sommer genau umgekehrt. Der Wind kommt eigentlich immer von vorne. Eine weitere Eigenheit: Er bläst fast immer parallel zur Küste. Entweder lebt man im seglerischen Schlaraffenland, oder man knüppelt gegen den Wind mit langen Schlägen auf das offene Meer.

Die Stunde des Sechszylinders von Ford-Lehman schlägt häufiger, als mir lieb ist. Das Wasser im Dieseltank ist über den Winter nicht weniger geworden und macht seinen Job gut: Alle zehn Betriebsstunden stirbt der Motor ab, ich muss den Diesel-Filter reinigen oder austauschen. Zum Glück habe ich diese brandneue Doppelfilteranlage. In heiklen Momenten kann man einen Schalter umlegen und den Motor wieder starten. Das gibt Sicherheit.  

So kreuze ich, wenn möglich, auf die offener See. Der Wind bläst prächtig mit fünf Beaufort, die Wellen sind zweieinhalb Meter hoch. REYKJA stampft und kämpft gegen an. Plötzlich ein lauter Explosionsknall. Das Kutterstag samt Rollfock schlägt wie wild um sich. Ein geübter Segler würde jetzt reagieren. Ich starre nur fassungslos ins Desaster. Eine Schweissnaht am Kutterstag, so stellt sich später heraus, ist gebrochen. Ich drehe REYKJA vor den Wind, fange das wildgewordene Stag mit einem Seil ein, binde es ans Want. Dann berge ich die Fock und stopfe sie in einem grossen Knäuel unter Deck. Danach «rette» ich mich mit drei Stunden Motorfahrt an die Küste. Und überlege, warum ich keinen Plan B im Kopf habe für solche heiklen Momente.

Mit dem Glück des Pechvogels gerate ich ins Archipel von Traena und kann Durchatmen. Fünf Inselgruppen, weniger als 500 Bewohner, 20 Meilen entfernt von der Küste. Hier finde ich geschützte Ankerbuchten, Miniaturhäfen, und ein Berg mit einem Loch in der Mitte, wie das Martinsloch im Kanton Glarus.

Wale suchen vor Vesteraalen

Mit den Pottwalen vor Vesteraalen ist es so eine Sache. Um sie zu finden missbraucht man die Boote der Waltouren. Verschwinden sie im Hafen von Andenes, ist man zwar allein auf weiter Flur. Aber die Walboote haben Mikrophone an Bord, mit denen sie auftauchende Wale hören können. Uns bleibt nur das Auge, das im grauen Nass den Blas der Pottwale nicht wirklich findet. Nach einigen Stunden schmarotzen wir noch einmal bei einer Waltour und geben dann durchnässt auf.

Zwei Wochen vor Ende des Törns gibt die Ankerwinsch ihren Geist auf. Ich muss den Anker von Hand aus der Tiefe holen. Zwar ankere ich so flach wie möglich, es bleiben dennoch meistens 10 bis 15 Meter Tiefe. So lerne ich über den harten Weg, wie schwer 20 Kilo Anker und 15 Meter Kette sind (= 50 Kilo): Definitiv nur im T-Shirt zu bewältigen.

Aufrüstung

Dieser Winter wird richtig teuer. Der an sich grossartige Besuch des Voreigners im Juni gibt traurige Gewissheit: Das Rigg ist vermutlich noch nie getauscht und inzwischen dreissigjährig. Definitiv zu alt für eine Ozeanpassage. Gegen den tapferen Widerstand des Riggers will ich einen Silentwind Windgenerator am Besanmast. Dazu die Wartung des Motors (Einspritzdüsen), Auswechselung der Stopfbuchse, Schlagscheiben für die grossen Fenster im Decksalon, ein Echolot mit Forward Scan für Riffpassagen in der Südsee. Und eine deutlich robustere Ankeranlage: Der neue Deltaanker wiegt 32 Kilo (bisher 20 kg), die Lewmar V 4 Ankerwinsch bringt 1500 Watt Leistung (statt 700 W), die neue Kette ist 70 Meter lang (bisher 45 m). Jetzt kann es losgehen.

Und dann kommt das Corona Virus.

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