Reisen am Ort

Grosse Weltumsegler starten im Vollstress. Wilfried Erdmann etwa bei seiner ersten Solo-Weltumseglung, oder Donald Crowhust vor seinem Weltumseglungs-Betrug. Gemessen an diesen dramatischen Vorbildern versage ich kläglich. Ich komme in den ersten Wochen nicht auf Touren.

Als Wilfried Erdmann seine Kathena Nui im August 1984 von der Werft abholt, ist sie nicht mehr als ein Kasko, ein Rumpf. Zwei Monate später startet er voll ausgerüstet zur ersten Nonstop-Weltumseglung eines Deutschen. Auch Donald Crowhurst. Als er das Golden Globe Race am 31. Oktober 1968 startet, dem spätesten möglichen Tag, da hatte er seinen Trimaran gerade einmal vier Tage Probe gefahren. Er sollte ihn nie wirklich zum Laufen bringen. Erst versucht er die Route zu fälschen, am Ende bringt er sich um.

Anders bei mir. Auf der nonstop Strecke von Fehmarn, ums Skagerak, Richtung Hamburg, verstopfen die Dieselfilter innerhalb von zehn Minuten im Seegang. Dieselpest. Das sind Bakterien oder Pilze, die sich bei längeren Standzeiten des Schiffs aus den Bio-Anteilen des modernen Dieseltreibstoffs bilden. Ohne Motor keine Landung, nirgendwo. Keine Fahrt über die Elbe mit ihrem hohen Frachtverkehr, keine weiter Segeln in den Süden.

Ich bleibe in Cuxhaven stecken.

Niederschmetternd

Mit Glück und Strom im Rücken segle ich bis eine Seemeile vor die «Alte Liebe» in Cuxhaven und werfe den Motor erst an zum Landen. Die Prognose der örtlichen Boots- und Schiffswerft ist niederschmetternd. Sie schlagen vor, den 600 Kilo schweren, dreissig Jahre alten Ford-Lehman Motor auszubauen, Löcher in den Kiel zu bohren und den Tank manuell mit Wischlumpen von der Pest zu reinigen. Die Kosten wären massiv, die Folgen für Schiff und Motor unabsehbar.

Ich kann nicht mehr schlafen. Habe ich ein Schiff gekauft, das rein technisch gar nicht mehr repariert werden kann? Muss ich mein gesamtes Geld, das für fünf Jahre Reisen gedacht ist, in einen neuen Motor investieren, neues Getriebe, neue Schraubenwelle, neue Schreinerarbeiten, neuen Decksalon?

Werftleiter Jonas und ich beschliessen behutsam vorzugehen. Die Werft bohrt ein 10 Zentimeter grosses Loch knapp vor dem Motor, sodass man gerade in den Kiel schauen kann. Dort liegt eine zwei Zentimeter dicke Schicht klebriger, brauner Masse. Mit Handy und Kamera sehen wir knapp zwei Meter weit. Dreck wohin das Auge reicht. Dahinter geht der Kiel zwar weiter, aber ein Schott versperrt den Blick.

Die Werft reinigt, was sie sieht. Wir schrauben den Deckel drauf. Ich fahre unter Motor Richtung Hamburg.

Zweiter Versuch

Nach vier Stunden auf der Elbe stirbt der Motor ab. Mit Glück kann ich knapp neben der Fahrrinne ankern. Ich ersetze Vorfilter und zwei Dieselfilter und starte. Der Motor läuft. Aber wie lange? Nicht auszudenken was wäre, wenn ich hier notankern müsste. «Elbe Control», die Funkleitstelle, dürfte kaum lange fackeln, mich abschleppen und eine gehörige Rechnung wegen Sabotage einer Industriestadt hinterherschicken. Der Motor versteht und läuft.

Rückfahrt nach Cuxhaven. Zweiter Versuch. Der Werft-Betriebsleiter schlägt eine neue Kur vor: Ein zweites, kleines Loch unter die Schraubenwelle bohren. Von dort die andere Hälfte des Kiels mit Wasser ausspritzen. Darauf zu hoffen, dass der Stahl bei dieser Behandlung nicht rostet.

Mehrere hundert Liter Wasser saugen wir aus dem Schiff. Eine verdreckte, stinkende Brühe. Ich könnte heulen nur beim Anblick. Unvorstellbar, dass dieser Tank jemals wieder sauber sein kann.

Die innere Reise

Die Episode mit der Dieselpest wird zur Reise am Ort. Ausgesucht hätte ich mir Cuxhaven als Reiseort nie. Aber es ist ein guter Ort, der auch schon bessere Tage gesehen hat. Im Eiscafé wirft mir die extrovertierte Cuxhavnerin mit dem Mops schon Kusshand zu. Tag für Tag dringen wir in das Innere des Schiffes, das nie dafür gedacht war, dass menschliche Augen es eines Tages sehen werden.

Meine eigene Reise füllt Cuxhaven. Den Sinn meiner Zukunft als Pensionär. War es richtig, dieses Schiff zu kaufen? Habe ich mich masslos übernommen? Finanziell? Handwerklich?

Nach insgesamt drei Wochen Reparatur füllen wir Diesel ein. Überraschung: Er wird zwar schnell milchig, aber nur etwas. Mit einem Mitsegler starten wir auf die Nordsee. Hinter Borkum, auf der Ems in Delfzejl, biegen wir ein in die Staande Mastroute. Dreissig Stunden durch Holländische Kanäle und Flüsse bis Amsterdam und Ijmuiden. Ohne Segel.

Der Motor läuft.

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