Acht Wochen lang, in Französisch-Polynesien, war ich verzaubert. Landschaften, die ich noch nie sah, freundliche Menschen, intakte Natur. Mit der Ankunft in Samoa und Tonga ändert sich das Flow-Gefühl. Plötzlich wird alles schwer und mühsam. Warum? Gehört das auch zum Reisen?
Apia Hafen in Samoa. Seit drei Stunden warte ich auf das Boot der Hafenbehörde. Sie haben mich vergessen, obwohl ich vor ihrer Nase ankere. Auf einen erneuten Funkspruch erscheinen sie. Erste Frage: Was hast Du zum Trinken?
Privatbesitz teilen
Nach zwanzig Tagen auf See sind meine Vorräte erschöpft, und ich auch. Ich finde Softdrinks. Die zwei Männer öffnen sie und lassen sie halb getrunken zurück. Zoll, Immigration und Bio-Security erscheinen wenig später zu viert. Die gleiche Frage. Ich habe nur noch warmes Bier. Sie packen es ein, und eine Flasche Aquavit dazu. Die Freigrenze von 2.3 Liter Spirituosen gilt gnadenlos für die Bordbar des Solo Seglers. Nach drei Jahren auf See und fünfzehn Ländern ist es der erste Zoll, der meine Bar dezimiert und gleich selbst für die Entsorgung sorgt.
Ja, ich habe meine Pflichtlektüre studiert über polynesische Kultur: Teilen von Privateigentum. Was Dein ist, ist auch mein. Ich fand diese Schilderung exotisch, nicht unsympathisch. Bis jetzt. Nun verstehe ich, dass nicht ich freiwillig teile, sondern dass andere Personen einen Anspruch auf mein Eigentum haben. Diese Seite hatte ich offenbar verklärt.
Ich darf nicht in der Hafenbucht gratis ankern, sondern muss in die Marina, oder das doppelte der Marinagebühren fürs Ankern zahlen. Ich kann ein Cruising Permit für Samoa kaufen, aber darf damit nirgendwo ankern und an Land gehen. In Tonga muss ich mich bei jeder Inselgruppe erneut am Zoll anmelden.
Solche Bestimmungen mögen ihre Berechtigung haben, aus schlechten Erfahrungen mit Seglern. Mich schüchtern sie ein. Plötzlich fehlt die Luft der Freiheit. Bin ich denn auf See gegangen, um mir mein Leben von Behörden vorschreiben zu lassen?
Nicht nein sagen
Dazu kommen Kommunikationsprobleme. Auch davon habe ich gelesen. Menschen sagen aus Höflichkeit nicht «nein», oder «ich weiss nicht». Ich frage nach Öffnungszeiten, Standorten, richtigem Verhalten – und erhalte Antworten, die mir nicht weiterhelfen. Das wäre an sich spannend, eine neue Kultur, Horizont erweiternd. Wegen solchen Erfahrungen macht man sich auf den Weg und reist.
Aber mich nervt es.
Ab jetzt sehe ich auch die Landschaft mit abgelöschten Augen. Das Vava’u Archipel in Tonga wäre schön. Wie eine schwedische Schärenlandschaft, plus Palmen und Riffe. Aber ich frage mich: Was mache ich hier?
War es zu viel Glück und Flow in Französisch-Polynesien? Bin ich übervoll? Stösst mich die Dritte Welt ab, die karge Eintönigkeit der Supermärkte, der Abfall in Siedlungen, offensichtliche Not einiger? Wie lebt es sich in einer Abwärtsspirale, in der es wirtschaftlich nicht aufwärts geht?
Ich hole den Anker ein und nehme Kurs auf Australien. Erwartungsvoll.
«Auswandern, …» schreibt eine Figur in Juli Zehs Roman Nullzeit (S. 32), «Das ergäbe doch nur Sinn, wenn das Land, in das wir fliehen, nicht immer nur wir selber wären.»