Gibt es echte Begegnung? Entdeckungen? Kann ich reisen, ohne touristisch unterwegs zu sein? Wenn ich gelegentlich reise, komme ich mir vor wie ein Narr. Auffällig anders, schräg drauf. Mit unendlich viel Zeit. Ist es das wert?
Dominica, Karibik. Ich stehe an der Ausfallstrasse der Hauptstadt. Irgendwann soll hier irgendwo ein Minibus vorbeikommen, der private ÖV der Insel, und zu meinem Bergdorf fahren. Ich warte seit einer Stunde. Als Weisser, mit Rucksack und Wanderschuhen. Ganz klar: Ein Tourist.
Ein leerer Minibus hält. Die Fahrerin will mich hinbringen. Was es kostet? 80 Dollar. Ich bedanke mich, aber verzichte. „Ok, 60 Dollar“. Ich bleibe beim Nein. „Es gibt keinen Minibus in dieses Dorf“, sagt die Fahrerin. Schliesslich zuckt sie die Achseln und lässt mich verstockt zurück.
Zehn Minuten später hält der volle Minibus. Menschen rutschen zusammen, ein religiöses Radioprogramm predigt Evangelium gegen den röchelnden Motor, es riecht nach Menschen und Arbeit. Ich zahle fünf Dollar, wie alle.
An der Ausfallstrasse
Ist es das wert? Kein Tourist kann stundenlang an einer Ausfallstrasse stehen. Er oder sie hat ja nur begrenzt Ferien. Menschen, Autos und Motorräder bestaunen ist keine anerkannte touristische Attraktion. Das kann man zu Hause auch.
Tatsächlich? Gibt es zu Hause Schuluniformen, Rastahaare, Ölschwaden der Zweitakter, Raggae-Rhythmen, „Hey man“ Grüsse, kühlenden Schatten unter verlottertem Bambus? Ich fange an zu Träumen an der Ausfallstrasse, löse mich auf, nehme wahr. Nicht von dem hier habe ich gesucht. Ich habe den Minibus gesucht, aber er beschenkt mich mit der Ausfallstrasse.
Wer reist erfährt Dinge, die er oder sie vorher nicht wusste. Das sind Entdeckungen im Post-Entdeckungs-Zeitalter.
Soll ich die Entdeckung an der Ausfallstrasse anderen Touristen mitteilen? Wie schräg wäre denn das! Zum touristischen Programm gehören kühlende Wasserfälle, heisse Quellen, Restaurants und Shops. Gespräche unter Touristen haken sich gegenseitig ab, ob man hier oder dort auch war.
Mit meinen Eindrücken bin ich nicht kommunikationsfähig unter Touristen. Auch nicht mit dem schlechten Gewissen vom Autostopp zurück im Dunkeln, weil der Minibus bereits weg war. Der letzte Fahrer bringt mich bis zum Schlauchboot, wo ich zu meiner Segelyacht übersetze. Ein yachtbesitzender Weisser erlebt die Solidarität eines schwarzen Gelegenheitsarbeiters. Ich bin beschämt und erfreut.
In der Lagune
Atoll Fakarava, Französisch-Polynesien. Ich habe Internet Empfang und google nach Plätzen, an denen es sich gut schnorcheln liesse. Seitenweise listet Google uniforme Texte: Die gleichen Divecenter, die gleichen Tauch- und Schnorchelspots, die gleichen Erlebnisse. Vielleicht gibt es „Geheimtipps“ irgendwo in den Tiefen des Internets, aber ich finde sie nicht. Sie sind zugeschüttet vom touristischen Angebot.
Es bleibt mir nichts anderes übrig: Ich muss die Plätze selber entdecken. Die Seekarte konsultieren, ins Wasser gehen, suchen. Ich stosse auf ausgebleichte Riffe, trübes Wasser, Öde. Bis sich mein Blick schärft und ich besser einschätzen kann, welche Unterwasserfarben und Formen vielversprechend aussehen.
Erneut brauche ich Zeit, Stunden, oder hier sogar Tage. Zeit ist die Währung, mit der der Reisende wuchert. Die Währung im Tourismus sind Dollars. Dafür verschleudert man keine Zeit und es gibt es Erlebnisse, die er oder sie im Internet bereits vorher lesen kann, leicht auffindbar bei Google.